Nach einem heftigen Crash im Harz hat die Polizei einen 18-jährigen Schüler festgenommen. Der schlimme Verdacht: Der junge Mann soll eine Mitschülerin erstochen haben.
Mit den Beamten hat sich der 18-Jährige von Baden-Württemberg eine Verfolgungsfahrt geliefert – die im Kreis Goslar endete. Jetzt kommen schockierende Details über den Fall ans Licht. Hätte die Tat verhindert werden können?
Harz: Tote zeigte Verdächtigen bei der Polizei an
Nach dem tödlichen Messerangriff auf eine Schülerin nahe Heidelberg untersuchen die Ermittler die Vorgeschichte des Opfers und des mutmaßlichen Täters. Wie jetzt herauskam, hat die getötete Schülerin den Beschuldigten zuvor wegen Körperverletzung angezeigt.
Wie Staatsanwaltschaft und Polizei am Freitag (26. Januar) mitteilten, hatten Polizei, Schule und Jugendamt den 18-Jährigen deshalb bereits im Blick. Der Verdächtige sitzt nun in Untersuchungshaft.
Der 18 Jahre alte Deutsche desselben Gymnasiums in St. Leon-Rot steht unter Verdacht, das gleichaltrige Opfer am Donnerstag (26. Januar) mit einem Messer in der Schule umgebracht zu haben. Er war nach dem Tod der Schülerin mit dem Auto geflohen und kurze Zeit später in Seesen im Landkreis Goslar festgenommen worden. Nach aktuellen Erkenntnissen waren das Opfer und der mutmaßliche Täter im Jahr 2023 zeitweilig liiert. Zum Zeitpunkt der Tat sei die Beziehung jedoch bereits beendet gewesen, teilte die Staatsanwaltschaft weiter mit.
Polizei, Jugendamt und Schulleitung hatten 18-Jährigen im Auge
Die Polizei habe nach der Anzeige der Schülerin den Beschuldigten und Zeugen vernommen. Wenige Tage nach dem Vorfall sowie Mitte Dezember 2023 hätten die Beamten zudem sogenannte Gefährderansprachen gehalten, so die Staatsanwaltschaft. Die Polizei hatte den Angaben zufolge auch Kontakt zum Jugendamt und der Schulleitung aufgenommen in der Sache. Ein gerichtlich angeordnetes Kontaktverbot gab es demzufolge nicht. Aber die Schule habe „Maßnahmen der Kontaktbeschränkung im Schulbetrieb“ getroffen.
Die Schule habe sich nach der Anzeige der Schülerin mit der Polizei abgestimmt, teilte der Kommunikationsexperte Dirk Metz am Freitag im Rathaus der Gemeinde mit. Metz war von der Schule nach der Gewalttat am Donnerstag beauftragt worden. Nach sorgfältiger Abwägung seien Vereinbarungen getroffen worden, dass die beiden Personen sich möglichst nicht mehr begegneten, sagte Metz. „Das war das Hauptziel.“ Zuletzt hätten alle Beteiligten den Eindruck gehabt, dass sich die Dinge beruhigt hätten. Aber: „Hundertprozentige Sicherheit gibt es halt nicht“, sagte Metz.
Die Anzeige der Schülerin sei noch nicht der Staatsanwaltschaft vorgelegt worden, nur die Polizei habe in dem Fall ermittelt, sagte ein Sprecher der Anklagebehörde.
Verdächtiger lieferte sich Verfolgungsjagd mit Polizei
Nun sitzt der 18-Jährige in Untersuchungshaft. Er sei der zuständigen Haftrichterin des Amtsgerichts Heidelberg vorgeführt worden, so die Staatsanwaltschaft. Sie habe Haftbefehl wegen Mordes erlassen und in Vollzug gesetzt. Anschließend sei der junge Mann in eine Justizvollzugseinrichtung gebracht worden.
Staatsanwaltschaft und Polizei teilten mit, dass der Verdächtige am Donnerstag zunächst mit einem Auto vom Tatort in Richtung Norddeutschland geflohen sei. Nach der Ortung des sei es den Beamten gelungen, die Verfolgung aufzunehmen. Der Beschuldigte sei „zeitweise mit sehr hoher Geschwindigkeit“ vor der Polizei geflohen und habe schließlich einen Unfall mit einem unbeteiligten Wagen gebaut. Sowohl der 18-Jährige als auch der Fahrer des anderen Fahrzeugs hätten sich verletzt. Beide seien zunächst in umliegende Krankenhäuser gekommen.
Die Ermittler hatten bereits am Donnerstag wiederholt davon gesprochen, dass sie von einer Beziehungstat ausgehen. Mit dem Begriff „Beziehungstat“ wollen Ermittler oft lediglich ausdrücken, dass sich Opfer und Täter kannten, es sich also nicht um ein Zufallsopfer des Täters handelte. Auf die Frage, ob es sich bei der Tat um einen sogenannten Femizid handle, konnte der Sprecher der Staatsanwaltschaft keine Angaben machen. Er sagte aber: „Der Begriff Beziehungstat war zumindest nicht beschönigend gemeint. Da gibt es nichts zu beschönigen.“ Femizid bedeutet, dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts getötet werden – also weil sie Frauen sind. Als häufigste Form gilt die Tötung von Frauen durch Partner oder Ex-Partner.
Aufarbeitung an Schule hat begonnen
Schulleiter Dirk Lutschewitz sagte am Freitag, dass die Tat alle sehr erschüttert habe. „Seit gestern ist nichts mehr so wie vorher.“ An Normalität sei derzeit in der Schulgemeinschaft nicht zu denken. Irgendwann werde man versuchen, den Weg zurückzufinden zur Normalität – aber nun brauche es Zeit, um zu trauern und zu verarbeiten.
Der schulpsychologische Dienst sei im Einsatz, die Aufarbeitung habe begonnen. Die Schule plane, den Schülerinnen und Schülern gruppenweise die Gelegenheit zu geben, über die Geschehnisse zu sprechen und sich auszutauschen. Auch eine Trauerfeier sei geplant. Der Termin sei noch unklar.
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Die stellvertretende Bürgermeisterin von St. Leon-Rot, Anneliese Runde, sprach von einem riesigen Schock für die Schulgemeinschaft und die gesamte Gemeinde. „Wir sind immer noch fassungslos“, sagte sie.
Häufen sich solche Vorfälle?
Es ist nicht der einzige derartige Fall in jüngster Vergangenheit: Im November hatte ein 15-jähriger Deutscher in einer sonderpädagogischen Schule in Offenburg einen gleichaltrigen Mitschüler erschossen. Dennoch sind solche Ereignisse selten. „Natürlich ist jeder Fall einer zu viel“, sagte Klaus Seifried vom Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP). „Aber wenn man Deutschland mit den USA vergleicht, ist Deutschland absolut friedlich.“ Jugendliche und junge Erwachsene, die solche Taten begehen, seien oft einsam und hätten Probleme.
Gewalt unter Kindern und Jugendlichen hat nach Einschätzung von Prof. Sibylle Winter nicht zuletzt infolge der Corona-Pandemie zugenommen. Das zeige sich sehr selten in schwerster Gewalt wie den beiden Tötungsdelikten in Baden-Württemberg, sagte die stellvertretende Klinikdirektorin und leitende Oberärztin der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der Berliner Charité. „Aber es gibt mehr emotionale Gewalt. Es wird mehr geschrien, mehr beleidigt.“ Mobbing beispielsweise nehme zu. (jko mit dpa)