Braunschweig/Wolfsburg.
Das Urteil im Prozess um die mutmaßliche Vergewaltigung eines Jugendlichen auf einer Behindertentoilette im Wolfsburger Rathaus ist gefallen. Das Gericht hat am Donnerstag, 14. Juli 2016 entschieden, dass der Angeklagte für zwei Jahre und zehn Monate ins Gefängnis muss.
Der 36-Jährige Angeklagte hatte zu Prozessbeginn am Landgericht Braunschweig zwar zugegeben, dass es zwischen ihm und dem damals 16-jährigen Opfer zu einer sexuellen Handlung gekommen ist. Dabei habe er entgegen der Anklage aber keine Gewalt angewendet. Der Jugendliche habe ihm zuerst an das Geschlechtsteil gefasst. In ihrem Plädoyer betonte Staatsanwältin Ute Lindemann, der Junge habe seine Version mehrfach „plausibel und anschaulich“ geschildert. Er sei bei all seinen Befragungen nicht von seinen Aussagen abgewichen.
Staatsanwaltschaft fordert drei Jahre
Am zweiten Prozesstag, Donnerstag, 14. Juli, waren unter anderem Polizisten als Zeugen geladen. Sie hatten die Aussage des 16-Jährigen eindeutig bestätigt. Er habe sowohl in der ersten als auch in der zweiten Vernehmung keine widersprüchlichen Angaben gemacht. Für die Staatsanwaltschaft steht fest, dass der Angeklagte dem Gericht dagegen zwei teilweise voneinander abweichende Versionen geschildert habe. Sie forderte drei Jahre Haft ohne Bewährung. Er habe versucht, die Tat von sich zu weisen und sich selbst als Opfer darzustellen. Die Staatsanwaltschaft habe daher keinen Zweifel daran, dass sich die Tat so wie vom Opfer dargestellt zugetragen habe. Der Angeklagte habe die Hilfsbereitschaft des Opfers „trickreich und perfide“ ausgenutzt. Außerdem gebe es für die Staatsanwaltschaft keine Anhaltspunkte für mildernde Umstände, da der Angeklagte kein Geständnis abgelegt habe und zudem vorbestraft sei. Die Tat sei „besonders verabscheuungswürdig“, deshalb müsse die Mindeststrafe von zwei Jahren überschritten werden müsse.
Auch der Nebenklage-Anwalt Michael Hoppe sieht den 16-Jährigen als klares Opfer. Er habe von Anfang an einheitlich und ohne Unklarheiten die Tat geschildert. Die Nebenklage fordert deshalb eine Freiheitsstrafe von vier Jahren. Nach Ansicht der Nebenklage habe der Angeklagte die „Rollen vertauschen und sich selbst als Opfer darstellen wollen“. Das Opfer selbst habe seinem Anwalt gesagt, er fordere kein bestimmtes Strafmaß. Er wolle nur, dass das Verfahren beendet wird, da ihn selbst der Vorfall immer wieder einhole.
Verteidigung sieht keine Schuld
Die Verteidigung des Angeklagten hingegen behauptet, es stehe Aussage gegen Aussage. Für ihn sei es schwieriger nachzuvollziehen, wie viel Gewalt sein Mandant angewendet haben müsse, um den Jungen zum Oralverkehr zu zwingen. Da dieser nicht geschrien habe, konnte der Angeklagte davon ausgehen, dass der Geschlechtsverkehr einvernehmlich gewesen sei. Zu dem solle das Gericht „Milde walten lassen“, da es Vergewaltigungen gebe, die schlimmer ablaufen und das Opfer, zumindest äußerlich, normal weiter gelebt habe. Deshalb forderte er einen Freispruch oder die Mindeststrafe nicht zu überschreiten.
Der Angeklagt selbst bat das Gericht zum Abschluss unter Tränen um Gnade. „Ich bitte um Gnade. Mein Vater ist krank. Ich bitte sie um Gnade.“
Verurteilter habe Hilfsbereitschaft ausgenutzt
Der Vorsitzende Richter Wilfried Knieriem begründet die verhängte Freiheitstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten Haft damit, dass der Angeklagte, trotz Bestreitens der Tat von der Beweisaufnahme überführt worden sei. Außerdem legt das Gericht Habib D. zur Last, die Hilfsbereitschaft des nun 17-Jährigen ausgenutzt zu haben. Zudem gab das Gericht zu bedenken, warum das Opfer den Angeklagten zu Unrecht beschuldigen sollte. „Warum sollte jemand, der schon in der Flüchtlingshilfe tätig war, ausgerechnet einen Ausländer beschuldigen?“, sagt Richter Knieriem.
Zwar liegt für das Gericht kein minderschwerer Fall vor, dennoch bezog es einige milderne Umstände in das Urteil mit ein: Das Tatgeschehen war verhältnismäßig kurz, und es habe keine gravierende Gewaltanwendung gegeben. Das Opfer und auch seine Eltern leiden seit dem Vorfalle unter psychischen Einschränkungen, dennoch habe das Opfer, wie auch der Verteidiger angemerkt hat, keine gravierenden Folgen davon getragen.
Nebenklage mit Urteil unzufrieden
Nebenklage-Vertreter Michael Hoppe ist dennoch unzufrieden mit dem Urteil: „Ich halte es für verhältnismäßig zu gering“, sagt er gegenüber news38.de. „Es hätte berücksichtigt werden müssen, dass der Angeklagte sich an einem Jugendlichen vergangen hat und das Opfer dessen Sperma im Mund hatte. Was das Gewicht angeht, halte ich das Strafmaß für unverhältnismäßig.“
Staatsanwaltschaft und Verteidigung halten Urteil für angemessen
Im Gegensatz dazu sieht Staatsanwältin Ute Lindemann das Urteil im Gesamtbild als gerecht an. „Ich halte das Urteil für tat- und schuldangemessen“, sagt sie news38.de. „Die Tat selbst hatte einen perfiden Charakter. Der Täter hat die Hilfsbereitschaft des Opfer ausgenutzt und ihn so zu einem Opfer einer Sexualstraftat gemacht.“ Zwar blieb das Gericht leicht unter der von ihr geforderten Strafe, dennoch musste die niederschwellige Gewalt als milderner Umstand berücksichtigt werden.
Auch Verteidiger Salim Zaizaa hält das Urteil „im Großen und Ganzen für in Ordnung“. „Es war ein Indizienprozess“, sagt Zaizaa gegenüber news38.de. „Ich habe versucht, die Geschichte, die mein Mandant erzählte, zu rekonstruieren, aber unter Berücksichtigung der Aussage des Opfers halte ich das Urteil für verhältnismäßig.“ In Revision werde er nicht gehen. „Mein Mandant kann und sollte mit dem Urteil leben“, sagt Zaizaa. „Auch für die Entwicklung des Opfers ist es besser, wenn keine weiteren Schritte folgen.“