Wer an einer Autobahnraststätte auf Toilette geht, ist 70 Cent los. Betrieben werden die Klos von Sanifair, einem Tochterunternehmen von Tank&Rast.
Für den niedersächsischen Bundestagsabgeordneten Victor Perli (Die Linke) ist das Abzocke und „nur die Spitze des Eisberges“ einer gescheiterten Privatisierung. Im Interview mit News38.de erklärt er, was ihn genau an Sanifair stört.
Herr Perli, Sie wollen die „Abzocke an Autobahnraststätten“ beenden. Was meinen Sie damit genau?
An den Autobahnrastätten gibt es völlig überzogene Preise bei Sprit, Speisen und Toiletten. Das war nicht immer so. Als Teil der öffentlichen Infrastruktur gehörten die Raststätten und Sanitäranlagen zuvor dem Staat. 1998 wurde die Tank&Rast billig privatisiert. Seitdem machen Finanzinvestoren einen großen Reibach. Und zwar auf Kosten der Kunden, der Beschäftigten und des Staates.
Die Beschäftigten wurden früher nach Tarif bezahlt, heute bekommen kaum mehr als den Mindestlohn, mit Ausnahme der Führungskräfte. Auch die Steuerzahler zahlen drauf. Der Bund finanziert den Ausbau und die Sanierung der Rastanlagen jedes Jahr mit über 100 Millionen Euro. Über die Konzessionsabgabe nimmt der Bund aber seit vielen Jahren nur 16 Millionen Euro von den Betreibern ein.
Der Toilettenbesuch bei Sanifair kostet 70 Cent, aber in der Regel sind die Toiletten recht sauber und hygienisch. Ist es das dann nicht wert? Es sind ja sogar nur 20 Cent, wenn man diesen Bon danach für einen Einkauf einsetzt.
Nein, hier wird die Zwangslage der Reisenden schamlos ausgenutzt. Um den Bon einzusetzen, muss man notgedrungen etwas Teureres kaufen, weil es nichts für 50 Cent gibt. Aus der Branche heißt es, dass jeder eingelöste Sanifair-Bon knapp dreieinhalb Euro Umsatz generiert. Es ist also sogar noch ein Zusatzverdienst für Tank&Rast.
Natürlich ist es wichtig, dass die Hygienesituation gut ist. Dafür müssen die Toiletten aber nicht in privater Hand sein. In Österreich sind die Sanitäranlagen staatlich und in einem guten Zustand. Eine Klogebühr wurde gerichtlich verboten. Auch in Frankreich sind die Toiletten kostenlos. Man hat in Deutschland die Raststätten in den 1990er-Jahren wirklich verwahrlosen lassen. Das war politisch so gewollt. Dann hat man sie billig privatisiert. Damals hat der Bund nur 600 Millionen Euro erhalten. Zuletzt wurde die ganze Firma für 3,5 Milliarden Euro weiterverkauft an globale Finanzakteure.
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Aus Perspektive eines durchschnittlichen Autofahrers könnte man aber doch sagen: 10 oder vielleicht 20 Euro im Jahr für hygienische Toilettengänge sind nicht viel…
Raststätten sind sehr teure Orte geworden, da hält man sich nicht gerne auf. Denken Sie an Berufstätige und Lkw-Fahrer, die von ihrem mickrigen Lohn eine Menge abdrücken müssen. Eine vierköpfige Familie ist pro Toilettenbesuch schon mal 2,80 Euro los. Wenn dann noch Snacks und Getränke dazukommen, dann sind es schnell 20 Euro für eine Pause.
Tank&Rast nutzt die Lage als Quasi-Monopolist aus. Das Bundeskartellamt hat 2020 festgestellt, dass die Spritpreise an den Autobahnraststätten um 20-25 Cent pro Liter höher sind. Der durchschnittliche Warenkorb beim Essen ist sogar 25 Prozent teurer als an einem Autohof.
Was wollen Sie an der Situation verändern?
Die Raststätten müssen wieder in die öffentliche Hand, spätestens wenn die Konzessionsverträge 2028 bzw. 2038 auslaufen. Das fordert übrigens auch die Gastronomie-Gewerkschaft NGG. Letztlich ist es auch eine Frage der Sicherheit. Menschen, die von einer langen Lkw- oder Autofahrt müde sind, sollen sich dort ausruhen können, ohne teure Preise bezahlen zu müssen.
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Mehr zur Person Victor Perli:
- Der 39-Jährige sitzt seit 2017 für „Die Linke“ im Bundestag.
- Ein weiteres Schwerpunktthema von ihm ist der Ausstieg aus der Atomenergie.
- Von 2008 bis 2013 war er bereits Landtagsabgeordneter in Niedersachsen.
- Seine engagierte sich Perli als Bundessprecher der Parteijugend ’solid, sowie als deren Landessprecher in Niedersachsen.
- Vor seiner hauptberuflichen politischen Karriere studierte Perli Politikwissenschaft und arbeitete als Geschäftsführer eines Familienbetriebs.
- Er stammt aus einer italienisch-niederländischen Familie.
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Noch zum Bundestagswahlkampf 2021: Sie sind Co-Spitzenkandidat der Linken in Niedersachsen und treten im Wahlkreis Salzgitter-Wolfenbüttel an. Werden Sie nun einen rot-rot-grünen oder grün-rot-roten Lagerwahlkampf führen?
Wir kämpfen für eine starke Linke, damit es mehr soziale Gerechtigkeit gibt. Es wäre auch gut, wenn CDU/CSU in die Opposition geschickt werden. Ein rot-rot-grüner Lagerwahlkampf ist aber nicht absehbar. Die Grünen stellen sich sehr CDU-freundlich auf und schielen auf Schwarz-Grün. Die SPD ist auch noch ziemlich unklar, ob sie mit der FDP regieren möchte oder doch noch mal die Große Koalition anstrebt. Wenn man mit uns Linken koalieren möchte, muss man bereit sein, sich mit den Mächtigen anzulegen: Umzuverteilen, eine Vermögensabgabe einzuführen, auch Schritte hin zu Abrüstung zu gehen.
Sie sind seit 2017 im Bundestag, waren davor schon mal Abgeordneter im niedersächsischen Landtag – hätten Sie jetzt nicht mal Lust endlich zu regieren?
Es gibt die Lust auf Veränderung, aber nicht per se aufs Regieren, wenn dadurch nichts geändert werden kann. Es macht keinen Sinn, wenn die Linke an einer Regierung beteiligt ist, die aber im Kern auf ein „weiter so“ hinausläuft. Es muss in Richtung Gerechtigkeit, Abrüstung und mehr Demokratie gehen, dann sind wir bereit mit anderen Parteien zu verhandeln.